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„Manchmal braucht es nur jemanden, der dir hilft, die Dinge neu zu sehen.“

Stefanie Friess, langjährige internationale Managerin bei adidas und Gründerin des Unternehmens Mut & Machen verstärkt seit kurzem auch die TRAIN TO MARS Crew. Im Interview zu ihrem Start verrät sie, was sie am deutschen Mittelstand besonders schätzt und wie sie die heutige Arbeitswelt positiv verändern will.

Du kommst aus einer erfolgreichen Führungslaufbahn im internationalen Konzernumfeld und bist mittlerweile bei TRAIN TO MARS vor allem im Mittelstand unterwegs. Welche Unterschiede stellst du fest?

Im Konzern bist du eine von vielen, eine Spezialistin. Ein Teil von einem großen Ganzen – das ist auf der einen Seite sehr schön und inspirierend. Auf der anderen Seite kostet es aber oft Durchschlagskraft, wenn man schnell etwas auf die Beine stellen will. Prozesse und Entscheidungsfindungen dauern oft zu lange. Im Mittelstand bringen wir Ideen viel schneller auf die Straße als im Konzern. Das Tempo und die Agilität sind genial und beflügeln mich richtig.

Was ist für dich das Besondere am deutschen Mittelstand?

Im Englischen sagt man „culture rolls downhill“. Und das ist nirgends so treffend wie in mittelständischen Unternehmen. Dort gibt es fast immer einzelne Persönlichkeiten, die die Kultur des Hauses prägen und eine tolle und effektive Arbeitskultur fördern können. In der Regel ist das der Inhaber oder die Inhaberin. Ich unterstütze Geschäftsführerinnen und Inhaber darin, in ihrer Vorbildfunktion eine gute Arbeitskultur zu leben und somit die gesamte Organisation voran zu bringen.

Als Mitarbeiterin merkt man sehr schnell: Passen die gelebten Werte zu mir? Motiviert mich der Zweck des Unternehmens? Und fühle ich mich mit den Arbeitsweisen in der Organisation wohl oder nicht? Wenn ich als Mitarbeiter zu all diesen Fragen ja sagen kann, dann habe ich für mich den perfekten Job, in dem ich mit Freude und langanhaltend Spitzenleistungen erbringen kann. Kompetenzen und Talente Einzelner kommen im Mittelstand einfach viel mehr zum Tragen – im Guten wie im Schlechten.

Du hast eine beeindruckende Karriere im Konzern hingelegt. Was hat dich dabei am meisten geprägt?

Ich fand es klasse, in einem großen Konzern in ganz unterschiedlichen Rollen wirksam zu sein und ganz unterschiedliche Perspektiven aufs Business zu bekommen. Das habe ich sehr genossen. Ich war über die Jahre in vielen unterschiedlichen Bereichen unterwegs, von der Händleraktivierung über Produkt-Design hin zu Produkt-Marketing für verschiedene Sportbereiche. Ich habe international die Verantwortung für 18 Schlüsselmärkte getragen und diverse Teams und komplexe Geschäftsbereiche erfolgreich geführt. Die Kundenbedürfnisse total zu durchdringen gehört heute quasi zu meiner DNA. Wie werden und bleiben wir und unsere Produkte absolut relevant für unsere Wunschkunden? Heute profitiere ich sehr von meinen Erfahrungen. Sie sind Gold wert im Umgang mit Menschen, Projekten und Herausforderungen.

In welchen Situationen bist du schon gescheitert – und was war bisher dein größter Erfolg?

Oh Gott, ich hab schon so viele Fehler gemacht, vor allem in meiner Anfangszeit als Führungskraft in der Verantwortung für andere Menschen – da hatte ich eine sehr steile Lernkurve. Mit dem heutigen Wissen würde ich im Nachhinein viel anders machen. 

Als meinen größten Erfolg betrachte ich die Art und Weise, wie ich mit Menschen gearbeitet habe. Jenseits von Business Wachstum und Profit, habe ich von Mitarbeitern oft das Feedback erhalten, mein Führungsstil sei emphatisch und authentisch. Und das hat mir sehr viel Sinn gegeben. Meine Teams und jeden einzelnen persönlich wachsen zu sehen, war eine der bereicherndsten Erfahrungen während meiner Karriere bei adidas. Und ich glaube genau weil wir in unseren Teams so einen guten Spirit hatten, waren wir wirtschaftlich auch so erfolgreich.

Welche Persönlichkeiten beeindrucken dich und wieso?

Es gibt sehr viele Persönlichkeiten, die mich in verschiedenen Aspekten beeindrucken. Bei Angela Merkel kann ich beispielsweise mit keiner Faser meines Körpers nachvollziehen, dass sie so vielen Herausforderungen ausgesetzt ist und nie die Fassung zu verlieren scheint.

Bei adidas hat mich vor allem unser früherer CMO, Eric Liedtke, beeindruckt. Er ist ein Naturtalent auf der Bühne und in jeder noch so krassen Situation authentisch und gleichzeitig unterhaltsam. Er hat mich inspiriert, weil er mutig ist. Er hat ein Multi-Milliarden Konzern konsequent Richtung mehr Nachhaltigkeit geführt. Und er hat sich „auch als Mann“ im Business nie gescheut seine Emotionen zu zeigen und zu leben. „Es ist vollkommen ok, Emotionen zu zeigen. Emotionen sind gut und wichtig“, hat er mir mal gesagt und lebte auch, was er sagte. Und ich stimme dieser Aussage zu 100 Prozent zu.

Die Herausforderungen, die durch Emotionalität im Arbeitskontext entstehen, haben mich letztlich zu meinem nächsten Karriereschritt inspiriert.  

So unterstütze ich Führungskräfte heute unter anderem darin, mit ihren und Emotionen anderer umzugehen. Emotionen sind absolut natürlich und gut – aber nur, wenn ich auch in der Lage bin sie auszudrücken, ohne andere zu verletzen. Wenn ich das nicht kann, können meine Emotionen sehr destruktiv für andere Menschen und den Erfolg von Teams sein.

Du bringst in deine Arbeit auch deine Ausbildung als Organisationsentwicklerin, Beraterin und Coach mit. Welche Aspekte aus deiner systemischen Arbeit findest du für Unternehmen besonders wichtig?

Die größten AHA-Momente in meiner Ausbildung hatte ich, als ich folgende zwei Punkte verstanden habe:

  1. Alles, was wir sehen, erleben und wahrnehmen hat ganz viel mit unseren bisherigen Erfahrungen zu tun und weniger mit unserer Umwelt und den anderen Menschen – auch wenn wir das denken. In Organisationen greifen wir sehr schnell zu Hypothesen: für uns ist oft schnell klar, warum der andere das tut, was er tut. Das ist schneller und einfacher als nachzufragen. Stellt euch mal euren letzten Konflikt vor, mit eurem Boss, der Kollegin oder eurer Mutter. Wer hatte recht? „Selbstverständlich ich“, denkt nun jeder. Vermutungen sind verlockend und gefährlich und oft der Grund für Missverständnisse, Fehler und Konflikte. Mixt dann noch ein wenig schlechte Kommunikation dazu und krawumm: da ist das Desaster.   
  2. Außerdem sollten wir uns bewusst machen, dass wir alle dazu neigen, nur die Argumente zu sehen, die unsere Sichtweisen bestätigen. Das wird Confirmation Bias genannt. Wir alle laufen mit oft großen blinden Flecken durch die Welt und glauben, die Fakten wären auf unserer Seite. Das ist sowohl für die Einzelne als auch für Organisationen, sogar für ganze Gesellschaften gefährlich. Um nachhaltige Veränderung zu einem Thema zu erreichen – zum Beispiel in der Unternehmenskultur – müssen wir uns in die Lage versetzen, unsere Hypothesen heraus zu fordern und wenn nötig bisherige Überzeugungen über Bord zu schmeißen.  Diese Fähigkeit zu entwickeln, daran arbeite ich mit Einzelnen und Organisationen. Wenn diese Fähigkeiten dann noch mit einem guten Kommunikationsstil gepaart werden, ist das die Basis für großartige Führung und wirklich nachhaltige Transformationsprozesse.

Selbstverständlich habe ich die Dinge hier stark vereinfacht dargestellt. Tatsächlich fangen wir aber an die Welt zu verändern, wenn wir diese zwei Punkte sehen können und wollen: it’s where the magic happens.

Wo genau in der heutigen Arbeitswelt wünscht du dir mehr von dieser Magie?

Als erstes wünsche ich mir, dass diese besondere Veränderungskraft eine neue Arbeitsbeziehung schafft. Und zwar zwischen Arbeitnehmern und Organisationen, die auf gegenseitigem Verständnis, Vertrauen und Respekt basiert.  

Und zweitens brauchen wir diese Kraft, um unsere Ziele für Diversität & Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Und das ist wiederum so wichtig, weil wir nur so dahin kommen, dass jeder das Leben führen kann, dass er für sich auch möchte. Wir brauchen jetzt große Entwicklungssprünge in ganz verschiedenen Bereichen. Zum Beispiel gehören in die Entscheidungsgremien unserer Gesellschaft in Zukunft 50 % Frauen. Außerdem muss dort auch die Diversität unserer Gesellschaft vertreten sein, damit wir eine Welt gestalten, die für alle sicher, gerecht und friedlich ist.

Ich liebe meine Arbeit mit Menschen und Organisationen, die sich verändern wollen, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Und was anfangs unerreichbar scheint, ist oft gar nicht so schwer. Manchmal braucht es nur jemanden der dir hilft, Dinge neu zu sehen.

Stefanie Friess

... hat über 20 Jahre internationale Konzernerfahrung im Rucksack & bringt ihre Umsetzungsstärke in Strategie-Projekten, Organisationsberatung & Coaching zum Einsatz.